Geschichte und Hintergrund

Einer der Urväter der Körperpsychotherapie ist Wilhelm Reich (1897-1957). Seiner konsequenten Weiterentwicklung und Erforschung der Freud’schen Libidotheorie und der Einbeziehung des Körpers, haben wir das Fundament der Körperpsychotherapie zu verdanken. Der Zusammenhang von seelischen Verletzungen und körperlichen Reaktionen wurde von Reich klar hergestellt. Über das Lösen von Spannungszuständen des Körpers (Muskelpanzer) half er seinen Klienten verdrängte Emotionen zugänglich zu machen und auszudrücken. Demnach entsprachen Muskelpanzer den Charakterpanzern. Er nannte diese Arbeit Vegetotherapie, die er seit 1935 praktizierte und weiter entwickelte.
Die Bedeutung einer ganzheitlich gelebten Sexualität für die Gesundung der Menschen steht im Zentrum seines Werkes. Den Libidofluss als Lebensenergie nennt er später Orgonenergie.
Auf seiner etappenweisen Flucht vor der Verfolgung durch die Nazis gab er in Dänemark und Norwegen entscheidende therapeutische Impulse für die Weiterentwicklung seiner Ansätze. Eine indirekte Nachfolgerin ist zum Beispiel Gerda Boyesen.
Die Biodynamische Körperpsychotherapie wurde von der norwegischen Psychologin und Physiotherapeutin Gerda Boyesen entwickelt. Sie untersucht und behandelt die Wechselspiele von körperlichen Beeinträchtigungen und psychischen Mustern. Das Denken, das Fühlen und die Prozesse des Körpers werden als sich wechselseitig beeinflussende und integrierende Aspekte der ganzheitlichen biodynamischen Entwicklung des Menschen betrachtet. Daher umfasst die Biodynamik viel Arbeit mit den körperlichen Spannungen und Begrenzungen – wobei spezielle Massage- und Bewegungstechniken angewendet werden – und widmet dem körperlichen Ausdruck eines Menschen besondere Aufmerksamkeit. Die körperliche Entwicklung geht Hand in Hand mit der psychologischen: ein Mensch verkörpert buchstäblich seine psychischen Muster! Jedes Gefühl, jeder Schock, jede Frustration zeichnet eine tiefe Spur im Körper. Wenn Emotionen wiederholt nicht ausgedrückt und Konflikte nicht gelöst werden, reagiert der Körper mit chronischen Verspannungen oder Krankheiten. Stress baut sich auf, Schicht um Schicht, bis sich Symptome entwickeln – in einigen Fällen spürbarer auf der körperlichen Ebene, in anderen deutlicher auf der Verhaltensebene.

 

 

Die “Primärpersönlichkeit” und der Muskelpanzer

In jedem Menschen steckt ein “lebendiger Kern” oder die “Primärpersönlichkeit”, die von einer “Sekundärpersönlichkeit” überdeckt werden musste, um überleben zu können. Schon Wilhelm Reich erlebte in seiner Arbeit das Wechselspiel von Charakter- und Muskelpanzers, mit denen ein Mensch sich nicht nur vor den Angriffen der äußeren Umwelt, sondern auch vor seinen eigenen unwillkommenen Emotionen schützt – unwillkommen, weil die Umwelt sie nicht akzeptieren konnte. Beispielsweise kann ein Kind das oft dafür bestraft wurde, wenn es seiner Wut Luft machte, diese Wut durch Muskelanstrengung buchstäblich “niederhalten”. Schließlich wird dieser Prozess des Niederhaltens Teil der Körperstruktur (Muskelpanzer) und das Kind fühlt seine Wut nicht einmal mehr (Charakterpanzer). Gerda Boyesen hat diese Vorstellung mit ihren Konzepten des Eingeweide- oder Viszeralpanzers und des Gewebepanzers weitergeführt.

 

 
Emotionale Zyklen und Psychopersitaltik

Im Zentrum der Biodynamischen Arbeit ist das Konzept des emotionalen Zyklus, verstanden als ein körperlicher Prozess. Das Anschwellen und Abebben eines jeden Gefühls bringt einen weit gefächerten Ablauf im Körper in Gang. Ein gesunder Körper baut alle Körperreaktionen, die intensive Gefühle begleiten selbst wieder ab, wenn er geschützten Raum und Zeit dafür hat. Fehlt dieser Schutz, so bleiben Reste zum Beispiel des Schrecks, oder der Angst im Körper stecken. Sie werden dann in den Muskeln, dem Bindegewebe oder in den Organen gespeichert. Die Fähigkeit des Körpers sich wieder selbst zu regulieren wird dadurch beeinträchtigt. Der Druck im Körper steigt und bildet die Grundlage für körperliche Schmerzen und Krankheiten. Nach Gerda Boyesens Theorie spielen die peristaltischen Prozesse der Eingeweide (Knacken in den Innenwänden des Darms) eine entscheidende Rolle in dem Entladungs- und Klärungsprozess des Körpers. Im psychischen Verdauungsprozess sind peristaltische Wellen im Bauch hörbar. Gerda Boyesen nannte ihre Entdeckung “Psychoperistaltik”. Die Psychoperistaltik entlädt buchstäblich die Resteffekte, die von einem Erlebnis zurückbleiben, aus dem Körper heraus. Aber diese psychoperistaltische Phase, durch die sich der emotionale Zyklus vollenden sollte, kann nur unter den Bedingungen des Friedens und der Sicherheit geschehen, wenn der Körper sich nicht mehr in Alarmbereitschaft hält.

 

 

Biodynamische Arbeit

In der biodynamischen Arbeit folgt der Therapeut / die Therapeutin den Bedürfnissen des einzelnen Klienten / der Klientin mit speziellen Massagetechniken, mal sanft, mal kräftig, um den Körperpanzer (Muskel-, Viszeral- und Gewebepanzer) aufzulösen. Ein Stethoskop auf dem Bauch hilft, die psychoperistaltischen Geräusche während der Massage bis ins Detail zu verfolgen. Diese Geräusche können sehr unterschiedlich sein und zeigen, was der Körper braucht. Die Geräusche machen deutlich, dass die Energie eines vergangenen Gefühls, das unterdrückt und eingeschlossen wurde, nun freigesetzt und verdaut wird. Durch die Massagen wird das Körpergewebe von den “Stressüberresten” alter, unabgeschlossener Gefühle geklärt. Sobald der Körperpanzer sich Schicht um Schicht aufzulösen und die Energie wieder freier zu fließen beginnt, wird sich ein “biodynamischer Auftrieb” von bis dahin unterdrückter Energie einstellen. Der Klient / die Klientin wird ermutigt, die eigenen “Stimuli von innen” zu erkennen und diese sich entwickeln und ausdrücken zu lassen. Diese “Stimuli von innen” sind die Regungen des lebendigen Kerns im Menschen, die nun buchstäblich nach Anerkennung drängen. Die “Stimuli von innen” können in jeder Form auftreten, von den kleinsten Muskelzuckungen oder schwächsten Erinnerungsspuren bis hin zu einem gewaltigen expansiven Atemzug oder tiefen Gefühlsausbrüchen. Zuweilen treten längst vergessen geglaubte Ereignisse und vergangene Gefühle, die im Köperpanzer unterdrückt und begraben waren, wieder an die Oberfläche des Bewusstseins, was zu vielen Einsichten und einer tief gehenden psychologischen Reinigung führt.

 

Manchmal spielt sich der therapeutische Prozess hauptsächlich auf der organischen Ebene ab. In beiden Fällen ist Biodynamische Arbeit ein Prozess Grund legender biologischer und psychischer Klärung: im selben Maß, in dem die Störung aus dem Köper heraus “geklärt” wird, befreit sich der lebendige Kern des Menschen von seinen Begrenzungen und die nicht-neurotische, primäre Persönlichkeit wird freigelegt, wieder entdeckt und kann sich nun endlich behaupten und ausdrücken. Mit einfühlsamen Gesprächen wird das Erlebte auch geistig durchdrungen, damit eine Integration auf allen Ebenen zu einer ganzheitlichen Gesundung beitragen kann.

 

 

 

Quelle:

Kirsten Specht – http://www.institut-fuer-psychodynamische-koerper-und-klangtherapie.de/
Text angelehnt an “What is Biodynamic Psychology”, aus International Foundation of Biodynamic Psychology, Journal of Biodynamic Psychologiy, No. 1, Spring 1980, London; übersetzt von Peter Freudl.


Im Handbuch der Körperpsychotherapie habe ich im Beitrag "Einführung: Das Spektrum der Körperpsychotherapie" folgende Worte gefunden:

 

"Bei aller Heterogenität und in Abgrenzung zu anderen Hauptströmungen der Psychotherapie gibt es einen klaren gemeinsamen Boden der körperpsychotherapeutischen Methoden. Was sie eint, ist eine an der Ganzheit orientierte Perspektive, in der neben den psychischen Dimensionen menschlichen Erlebens und menschlicher Erfahrung die körperliche Dimension gleichwertige Beachtung findet. In dem ursprünglich philosophisch fundierten Leibbegriff, der auf eine beseelte Körperlichkeit abzielt, sind diese beiden Dimensionen integriert.

[...]

Prägende Erfahrungen beeinflussen nicht nur die psychische Struktur, sondern hinterlassen ihre Spuren ebenso in körperlichen Verarbeitungsweisen, unabhängig davon, ob man diese nun als Chrakaterstrukturen (Reich 1970), als affektmotorische Schemata (Downing 1996) oder als Verwicklungen (von Uexküll et al. 1994) beschreibt.

Hieraus ergibt sich, dass Körperpsychotherapie darum bemüht ist, sich zwischen dem körperlichen und psychischen Pol therapeutischer Exploration hin und her zu bewegen und diese zu integrieren. Manchmal bewegt sich der therapeutische Prozess dabei vom Pol des Psychischen hin zu einer vertieften Körper-Selbsterfahrung, manchmal entfalten sich aus dem Erspüren und Erfühlen des Körpers klare Einsichten in psychische  Realitäten."

Quelle: G. Marlock und H. Weiss, "Einführung: Das Spektrum der Körperpsychotherapie", in Handbuch der Körperpsychotherapie (ISBN 978-3-7945-2473-0, Schattauer) Seite 7 - 8.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK) definiert die Körperpsychotherapie wie folgt:

 

"Der /die Körperpsychotherapeut/in arbeitet direkt und indirekt mit dem Organismus als einer essentiellen Verkörperung des mentalen, emotionalen, sozialen und spirituellen Lebens. Er/Sie ermutigt sowohl innere selbstregulative Prozesse als auch die angemessene Wahrnehmung der äußeren Realität.
Durch seine/ihre Arbeit ermöglicht der/die Körperpsychotherapeut/in entfremdeten Aspekten des Klienten bewusst, anerkannt und integriert zu werden. [...]"

Quelle: http://www.koerperpsychotherapie-dgk.de/Koerperpsychotherapie.html